Donnerstag, 22. Oktober 2009
Tunnel oder Oberflächenlösung?
Die Diskussion um die letzte verbliebene innerstädtische Stadtbahnstrecke ist wieder heiß gelaufen. Seit einigen Monaten schon wird intensiv in verschiedenen Gremien diskutiert, nun haben die hannoverschen Zeitungen teils mit widersprüchlichen Aussagen die Debatte in das Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Genau geht es um die heutige Stadtbahnstrecke zwischen Goetheplatz und Aegidientorplatz, die sich über den Steintor und vor dem Hauptbahnhof vorbei durch die Innenstadt schlängelt. Die von den Linien 10 und 17 genutze Trasse gilt als unbefriedigende Lösung, weil sie zum einen nicht vernünftig an das Umsteigesystem der U-Bahn Strecken angebunden werden kann und weil sie zum anderen einen zusätzlichen Akteur im eh schon dichten Verkehrsraum der Innenstadt dar stellt. So war schon seit Anfang der 1960er Jahre, dem Beginn der ursprünglichen Tunnelplanungen in Hannover, vorgesehen, auch diese Strecke in einen Tunnel zu verlegen. Entsprechende Bauvorleistungen wurden an den Stationen Steintor und Haupbahnhof erstellt, hier sei nur auf die oft beschriebene "Geisterstation" am HBF verwiesen, ein seit jahrzehnten auf seinen Einsatz wartender Rohbau unter der heutigen U-Bahn Station Hauptbahnhof.

Die aktuelle diskutierten Pläne haben längst nicht mehr die Dimension, die vormals angedacht war: ein Tunnel vom Küchengarten unter der Innenstadt hindurch bis zum Bismarckbahnhof in der Südstadt. Obwohl grade angesichts der Verkehrsproblematik der Sallstraße eine Tunnellösung dort sinnvoll wäre, dreht sich die Debatte derzeit um die Innenstadt, also den Abschnitt zwischen Goethestraße und Hauptbahnhof.
Selbst hier wurde schon wieder gekürzt. Anfang des Jahres wurde noch überlegt, eine Trasse bis zum Platz der Kaufleute (Berliner Allee/Ecke Schiffgraben) zu legen, mit der Option die Marienstraße oberirdisch anzuschließen. Jetzt hingegen soll die neue Strecke am Raschplatz enden. Zwei Lager haben sich gebildet, die einen plädieren für eine Tunnellösung, wie sie schon immer geplant war, die anderen favorisieren eine oberirdische Lösung, die vor dem Hauptbahnhof scharf abzweigt und unter den Bundesbahngleisen durchsticht. Argumente haben beide Lager zu bieten, die Frage ist nur, wie gut oder sinnvoll diese Argumente sind.

Die Punkte, die die Tunnelbefürworter vor bringen sind klar: das Streckennetz wird vervollständigt und die bestehenden Lücken werden geschlossen. Die Bahnen kommen schneller vorran, da sie keine Ampeln, keinen Verkehr und keine Fußgänger beachten müssen. Die Umsteigesituation verbessert sich. Der (oberflächliche) Stadtraum verbessert sich ebenfalls, der Straßenraum in den betroffenen Straßen könnte deutlich qualitätvoller gestaltet werden. Gleiches gilt für den Ernst-August-Platz. Es werden keine Hochbahnsteige notwendig, die in einem dichten Stadtraum ehr kontraproduktiv sind, gleichzeitig kann aber die Türtechnologie der eingesetzten Fahrzeuge vereinfacht werden, da die Klappstufen entfallen - ein wichtiger Kostenfaktor. Nicht zuletzt erhält man sich die Option der weiteren Ausbaustufen, falls dann doch irgendwann mal Geld da sein sollte für einen Sallstraßentunnel.

Die Tunnelgegner halten dagegen: Stadtbahnen gehörten zum Stadtbild und würden zum Sightseeing genutzt. Eine Stadtbahn hätte mehr Stationen. Die Stationen sind sicherer, weil unter besserer sozialer Kontrolle. Unter der Eisenbahnunterführung könnte man S-Bahn und Stadtbahn mit einander verknüpfen. Die bestehende Strecke zum Aegi könnte erhalten bleiben. Und, natürlich am wichtigsten - es wäre nicht so teuer.

Und so, wie immer, beginnt der Tanz ums goldene Kalb: das Geld.
Tatsächlich sehen die zuletzt in den Medien vorgestellten Varianten folgende Kosten vor: ca. 115 Millionen Euro für einen Tunnel, ca. 45. Millionen Euro für die Oberflächenlösung. Klar, was hier günstiger erscheint. Aber ist es auch tatsächlich sinnvoll, 45 Millionen Euro für eine tunnenlose Lösung auszugeben?

Nein. Denn wenn man sich mal die Argumente der Tunnelgegner anschaut und die Bedingungen berücksichtigt, die eine Oberflächenlösung zur Folge hätte, erscheint der Sinn dieser Variante überaus fragwürdig.
Bei der Oberflächenlösung würde sich gegenüber dem heutigen Zustand wenig ändern. Allerdings, die Stadtbahnen würden vor dem Ernst-August-Platz abbiegen um unter den Eisenbahngleisen hindurch den Raschplatz zu erreichen. Das bedeutet, das an dieser Stelle eine 90° Kurve in die Strecke eingesetzt werden müßte. Eine schwierige und enge Stelle für die heutigen Bahnen. Schon an weit stumpferen Kurven erzeugen die Stadtbahnen heute eine unangenehme Geräuschkulisse aus Quietschen und Schleifen - der Aufenthaltsquälität nicht grade zuträglich. Außerdem wäre der Zugang für Passanten zur Ernst-August-Galerie durch die kreuzenden Züge stärker eingeschränkt als bisher.
Gerne möchten uns die Befürworter dieser Lösung weiß machen, eine Station unter der Unterführung könnte mit der S-Bahn verknüpft werden. Einen direkten Gleiszugang zur S-Bahn wird es allerdings nie geben, das widerspricht dem Konzept der Deutschen Bahn, die die dort an- und abfahrenden Menschen durch die Einkaufszone ihres Bahnhofs lenken möchte. Auch das Argument der höheren Sicherheit gilt an dieser Stelle ehr nicht. Wer möchte dort nachts stehen und auf eine Bahn warten?
Aber auch allgemein haben oberirdische Stationen keinen Vorteil gegenüber unterirdischen Stationen. Während man an der Oberfläche meist der Witterung ausgesetzt ist, bieten Tunnelstationen mehr Schutz gegenüber Wetterkapriolen und können zudem besser überwacht werden. Das Argument, Tunnelstationen hätten einen geringeren Einzugsradius, weil man noch die Treppen hinabsteigen muss, wird gerne heran gezogen, ist aber ein Blendargument. Für die meisten Menschen spielt der Weg bis zum Erreichen der Station die wesentliche Rolle, nicht die Wege oder Treppen innerhalb der Station. Über einen rechnerischen Weg den Einzugsradius von Tunnelstationen zu verkleinern ist also ein manipulierte Halbwahrheit.
Ein weiterer Punkt der für die Oberflächenlösung eingebracht wurde war, dass die Bahnen zum Sightseeing genutzt würden, oder, um es reduzierter auszudrücken, die Leute würden gerne aus dem Fenster schauen. Dem steht aber gegenüber, dass die Stadtbahnen in Hannover Teil eines verbindenden Nahverkehrssystem sein sollen. Es geht also vorrangig um Geschwindigkeit und um Umsteigemöglichkeiten, nicht um eine schöne Aussicht. Zudem gibt es dafür die Buslinien 100/200.
Auch das Argument, die Bahnen gehörten zum Stadtbild klingt seltsam. Grade für die stark von Fußgängern frequentierten Innenstadtbereiche gilt, kein anderes Verkehrsmittel ist hier so starr und gefährlich für Passanten wie eine Stadtbahn. Von den Möglichkeiten zur Verbesserung des Stadtbilds, die eine oberirdische Trasse verhindert, soll an dieser Stelle noch nicht mal die Rede sein. Zumal für eine Bundesförderung die Forderung nach einer eigenständigen Trasse besteht. Ein Aspekt, die wohl ehr zu einer deutlichen Verschlechterung der Stadtraumqualität führen würde. Auch aus dieser Überlegung heraus gehört die Bahn unter die Erde.

Kommen wir nochmal zum Anfang dieses Abschnitts zurück: bei der Oberflächenlösung würde sich gegenüber dem heutigen Zustand wenig ändern. Doch eine sehr markante Änderung wäre doch notwendig: der Abriss der Raschplatzhochbrücke, da sich sonst aus Platzgründen eine Wende- und Endstation hier nicht realisieren läßt. Man kann zu dieser Hochbrücke stehen wie man will, aber ein Abriss bedeutet, dass in Zukunft alle Fahrzeuge ebenerdig am Raschplatz vorbei fahren und zusätzlich zwei Stadtbahnlinien hier kreuzen und halten? Logisch klingt das nicht und es entspricht wohl kaum dem Konzept der zurück gebauten Straßenräume, welches grade im Rahmen der HannoverCity 2020 Veranstaltungen vorgestellt wurde.

Insgesamt kostet also eine Krüppelstrecke zwischen Ernst-August-Platz und Raschplatz ohne grundlegende Verbesserungen der Situation 45 Millionen Euro und außerdem muss die Hochbrücke abgerissen werden. Die Tunnelvariante ist natürlich teurer, in Relation gesetzt aber auch wesentlich eleganter und zukunftsfähiger. Warum nur wird dann die Oberflächenlösung überhaupt in Betracht gezogen?

Angeblich haben die Berechnungen von Experten ergeben, daß die Oberflächenlösung deutlich wirtschaftlicher wäre als die Tunnellösung. Beide Varianten müssen ihre Wirtschaftlichkeit nachweisen, um über Bundesförderungen unterstützt zu werden. Aber ist eine wirtschaftlichere Lösung auch die sinnvollere und nachhaltigere Lösung? Es geht hier um ein Infrastrukturprojekt, das die Vernetzung des öffentlichen Nahverkehrs verbessern soll, nicht um eine auf Rendite ausgelegte Finanzinvestition. Wohin uns die scheuklappenähnliche Fokusierung auf Wirtschaftlichkeit gebracht hat, braucht angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wohl kaum näher erläutert werden.

Grotesk, gradezu wie ein Schildbürgerstreich klingt allerdings die letzte Idee, die im Rahmen der ganzen Diskussion aufgekommen ist: auf der Linie 10/17 könnten doch Niederflursysteme eingesetzt werden, dann bräuchte es keine Hochbahnsteige, weder in der Innenstadt, noch auf der Limmerstraße. Das damit für lange Zeit Entwicklungsmöglichkeiten auf der D-Line versperrt wären und zudem durch unterschiedliche Stadtbahnsysteme auf Jahrzehnte deutlich erhöhte Kostenstrukturen entstehen würden, wird dabei großzügig übersehen.

Bleibt nur zu hoffen, das die Entscheidung für den Tunnel fällt oder, wenn auch zähneknirschend, alles bleibt wie es ist. Eine 45 Millionen Euro Investition für die Oberflächenvariante dagegen ist rausgeschmissenes Geld. Das kann sich Hannover nun wirklich nicht leisten.

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